Wie ich mich als Dorfkind für ein paar Jahre in die Stadt verirrte
– und wieder zurück fand

Hängematte im Garten

Als ich noch in der Schule war, wurden wir öfter dazu gebeten das Thema „Leben in der Stadt oder auf dem Land“ zu diskutieren. Mir fiel es damals schwer mich für eine Seite zu entscheiden. Ich kannte ja nur das Landleben. In die Stadt fuhr ich, um das Kino zu besuchen oder shoppen zu gehen, aber wie das Leben in der Stadt war, konnte ich nicht beurteilen.

Letztlich kam ich zu dem Entschluss, dass beides seine guten und schlechten Seiten hat.

 

3 Jahre später…

Die Schule ist rum. Ich steige aus dem Zug in Hamburg um meinen damaligen Freund, und jetzigen Mann, zu besuchen. Es ist sau kalt draußen und, wie sehr häufig, weht ein strenger Nordwind. Ich verlasse das Bahnhofsgebäude und gehe in Richtung Busbahnhof an einer Telefonzelle vorbei. In der Telefonzelle liegt, wenn man es liegen nennen kann, vielleicht ist es auch eher ein sitzen, ein Obdachloser. Der Anblick trifft mich irgendwo ganz tief ins Mark. Ich möchte helfen und weiß nicht wie. Und ich habe das Gefühl irgendein Teil in mir stirbt in dem Moment, an dem ich einfach weiter gehe.

Das ist nur eine von vielen Situationen, die ich in mehreren Jahren Stadtleben erlebt habe, und die mich innerlich verändert haben. Letztlich habe ich 2,5 Jahre in Hamburg gewohnt. Vielleicht können Menschen, die in der Stadt leben ihren Sensor, ihre Empathie, irgendwie runter regeln. Ich kann es nicht. So kommt es, dass ich die meiste Zeit in der ich in der Stadt gelebt habe, in der Wohnung verbracht habe, um nicht ständig all den Emotionen und dem Lärm ausgesetzt zu sein.

 

Von der Stadt unter Druck gesetzt

Brücke in Hamburg

Natürlich war ich auch immer mal wieder in der Innenstadt: am Hafen, am Rathaus, all die Orte, die auf den Postkarten so schön wirken und die auch mich positiv berührt haben. Doch letztlich war mir das alles zu viel. Denn schon die Anreise dort hin mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, langen dunklen U-Bahn-Schächten und überfüllten Bussen fand ich anstregend. Außerdem ist jedes Wochenende irgendetwas los in der Stadt, was noch zu dem üblichen Trubel dazu kommt. Demonstrationen, Radrennen, Marathons, Filmdrehs, Hafengeburtstag in einer Millionenstadt ist immer irgendwas! Wenn immer irgendwas ist, fühlt man sich auch irgendwie dazu verpflichtet immer irgendetwas zu machen. Was wiederum dazu führt, dass man sich, wenn man nichts unternehmen will oder kann, schnell wie ein Eremit fühlt.

 

Vorteile des Stadtlebens

Kreuzfahrtschiff

Das ganze hat aber auch den Vorteil, dass man spontan Sachen sehen kann, die man auf dem Land nicht mitbekommt oder für die man erst mal weiter raus fahren müsste. So landeten wir mal spontan bei der Ausfahrt der Aida, lernten was ein Slut-Walk ist und besuchten ein Fernsehstudio des NDRs.

An einem anderen Tag sind wir spontan bei einer Demo für die Aufnahme von Flüchtlingen mit gelaufen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem Flucht in den Medien noch nicht einmal ansatzweise präsent war.

Insofern kann ich dem Leben in der Stadt auch Positives abgewinnen. Die Stadt öffnet den Horizont, man beginnt sich mit Themen zu beschäftigen, die man auf dem Land viel weniger wahrnimmt, da sie mit der Lebensrealität der Dorfbewohner nicht so viel zu tun haben. Viele Themen scheinen in der Stadt einfach präsenter, was vermutlich daran liegt, dass hier auch viel mehr Menschen auf einem Haufen sind.

Doch letztlich war es für mich alles zu viel, und so gab es für mich nur einen Weg…

 

… zurück aufs Land!

Schwan mit Baby

Nun bin ich zurück auf dem Land, zurück in meinem Heimatdorf und erfreue mich am Landleben mehr als je zuvor. Ich denke „manchmal muss man erst einmal weg gehen“, um einen neuen Blick auf Dinge zu gewinnen.

Mein Leben viel achtsamer, naturverbundener und auch sozialer geworden, seitdem ich zurück auf dem Land bin:

Wenn ich vor die Tür gehe, kann ich die Schwanenfamilie beobachten. Nachts kann ich den Sternenhimmel sehen. Wenn ich mal nicht mehr weiter wüsste, wüsste ich mindestens 3 Nachbarn, bei den ich klingeln könnte. Meinen Nachbarn gebe ich Ernte aus meinem Garten, und sie mir Ernte aus ihrem. Meine Äpfel kommen nicht mehr aus dem Supermarkt sondern vom eigenen Apfelbaum.

Die Nachbarn unterhalten sich darüber, wie Wildschweine ihren Garten zerwühlt haben. Wenn irgend etwas passiert ist, erfahre ich es beim Bäcker neben an. Wenn ich nachts das Fenster aufmache, höre ich statt Partys, Autos und Geschreie maximal ein leises Piepen des Ofens aus der Backstube.

Wenn ich an der Lahn sitze, riecht es nach Fluss und wenn ich am Wehr stehe, rauscht es in meinen Ohren als wäre ich am Meer. Wenn ich mit dem Rad fahre, muss ich keine riesigen Kreuzungen überqueren oder auf einem engen Radweg, der Teil einer 6 spurigen Straße ist, fahren und um mein Leben bangen.

Sollte ich doch einmal das Bedürfnis nach Stadt haben, setzte ich mich ins Auto oder in den Zug und bin in 15 Minuten in einer 100.000 Einwohnerstadt. Würde mich heute noch einmal jemand fragen: Stadt oder Land? Für mich wäre die Antwort klar.

Einmal Großstadt und zurück

2 Kommentare zu „Einmal Großstadt und zurück

  • 2. November 2018 um 18:23 Uhr
    Permalink

    Die Stelle mit dem Obdachlosen liest sich ein bisschen so, als wäre es empathisch, leidenden Menschen aus dem Weg zu gehen… 🙁

    Antworten
    • 2. November 2018 um 20:18 Uhr
      Permalink

      Ohje so war es nicht gemeint. Im Gegenteil. Das Einfühlungsvermögen und die Empathie ist so groß, dass einem der Anblick so verletzt das man aus Selbstschutz „weg sieht“, was natürlich auch nicht gut ist :-/

      Antworten

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