
Während ich gerade vertieft mit meiner Großen auf dem Spielplatz eine Sandburg baue, klingelt er wieder – der Augentropfen-Wecker. Ich hasse ihn, und gleichzeitig liebe ich ihn. Ich weiß nicht, wie ich die ersten Wochen nach einer Augen-OP mit bis zu 14 Mal Tropfen am Tag ohne ihn überstehen könnte. Wie oft hat er uns schon davor bewahrt, die wichtigen Augentropfen für unseren Sohn zu vergessen. Gleichzeitig hasse ich ihn. Weil er mir immer wieder mitten am Tag – und wenn ich gerade eine schöne Zeit mit meinen Kindern habe – ins Gesicht schreit: Dein Kind ist krank!
Einfach mal ne Pause
Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als das Handy einfach mal zwei Tage wegzuwerfen und alles zu vergessen: die Tropfen, das Glaukom – alles. Einfach mal eine „normale“ Familie sein. Dann denke ich: Okay, ich jammere auf hohem Niveau. Es gibt wirklich viel Schlimmeres, als einem Kind alle paar Stunden Augentropfen geben zu müssen.
Doch ist das wirklich das, woran man sich aufbauen sollte? „Guck mal, bei denen ist es viel schlimmer – das Kind hat kein Glaukom, sondern einen Herzfehler?“ Ist dieser Abwärtsvergleich nicht irgendwie gemein?
Ich erinnere mich, wie einst Guido Westerwelle mit seiner Krebsdiagnose kurz vor seinem Tod in einer Talkshow saß und meinte, es ginge ihm doch gut. Auf die Frage, was denn noch schlimmer wäre als unheilbar krank zu sein, verwies er auf den Holocaust.
„Vergleich dich mit dir selbst!“
Mein Vater sagt immer: „Vergleich dich nicht mit anderen, sondern nur mit dir selbst.“ Also mache ich das. Ich schaue mir Bilder von Januar an – als ich vor der ersten OP quasi ein blindes Kind vor mir hatte. Nie hätte ich erwartet, dass mich mein Kind jetzt anlachen kann, dass es zielgerichtet nach Dingen greifen kann und dass es sich motorisch so gut entwickelt.
Ich mache mir bewusst, wie weit wir schon gekommen sind, wofür wir das alles machen – und dann ist der 17-Uhr-Wecker plötzlich nicht mehr ganz so schwer zu ertragen.