oder: Wieso man den Berg hinaufwandert anstatt die Gondel zu nutzen – Lebensweisheiten Teil 4
Als ich vor ein paar Wochen meine Freundin in Frankfurt besucht habe, wollte sie mit mir einen Ausflug in den Stadtpark machen. Da ich immer noch am Bein verletzt bin konnte ich nicht so schnell laufen. Immer wieder musste ich sie in ihrem Enthusiamus bremsen und sagte irgendwann „Der Weg ist das Ziel!“ und dachte mir innerlich, dass ich jetzt schon so klinge wie meine Eltern.
„Nein der Park ist das Ziel“ antwortete sie, und ich dachte, sie klang genau wie ich früher.
Wie mich die Tiroler Alpen – und mein Vater – den letzten Nerv kosteten
„Der Weg ist das Ziel“ wie sehr habe ich diesen Satz früher gehasst. Am schlimmsten war es bei Wanderungen. Ich sah absolut kein Sinn in einer Wanderung.
Das eindrücklichste Beispiel war eine Familien-Wanderung in den Tiroler Alpen. Ich war circa 10 Jahre alt und wir haben einen Urlaub in Italien gemacht. Wir sind stundenlang den Berg hoch gestiegen und dann völlig erschöpft oben angekommen. Die Aussicht oben war schon schön, doch ich fragte mich wirklich, wieso wir uns das alles angetan hatten. Es stand für mich absolut in keinem Aufwand-Nutzen-Verhältnis.
Doch getoppt wurde das alles noch als mein Vater meinte: „Zurück fahren wir dann mit der Bergbahn.“ Ich sah ihn völlig fassungslos an. „Es gibt eine Bahn???????“ „Ja natürlich. Meinst du die Leute hier oben sind alle zu Fuß hier hoch gelaufen?“ „Ja aber wieso, sind wir denn dann hier hoch gewandert? Das ist ja absoluter Unsinn?“ „Der Weg ist das Ziel“ antwortete mein Vater strahlend und spazierte entspannt Richtung Bergbahn.
Eigentlich hätte ich in dem Moment fragen wollen, wieso wir dann nicht auch wieder zurück laufen, doch ich wollte ihn nicht auf falsche Gedanken bringen.
In der Bahn angekommen fragte ich noch einmal: „Wieso sind wir denn nicht mit der Bahn hoch gefahren?“ „Dann hätten wir den Ausblick doch gar nicht so genossen. Und morgen wenn wir im Bett liegen und uns die Beine weh tun, denken wir noch immer an den wunderschönen Aufstieg.“
Wieso der Weg tatsächlich das Ziel ist
Es dauerte wohl noch Jahre wenn nicht Jahrzehnte bis ich verstand was mein Vater meinte. Der Weg ist das Ziel, dass bedeutet in erster Linie einmal Achtsamkeit für den Moment.
Wenn ich schon auf dem Weg achtsam bin, meine Umgebung genau studiere, die Sonne auf der Haut spüre, den Blumenduft rieche, spüre wie es immer kälter wird je weiter man den Berg hoch steigt, dann ist schon der Weg ein Genuss.
Mein Fokus liegt nicht mehr auf dem Ziel, sondern auf dem Weg, wodurch sich die Reise bzw. der Weg auf einmal nicht mehr so lang und nervig anfühlt. Außerdem verliert das ursprüngliche Ziel (wenn es denn eins gibt) etwas an Größe. Wenn ich schon auf dem Weg so viele tolle Sachen erlebt und gespürt habe ist es nicht mehr so wichtig ob der Ausblick am Ende wundervoll oder etwas vernebelt ist.
Mit dem Zug und Fußschmerzen zu neuen Erkenntnissen
Vermutlich habe ich die Erkenntnis auch in den vielen Jahre, in denen ich regelmäßig 500km quer durch Deutschland mit der Bahn gefahren bin, erlernt. Anfangs schien die Zeit überhaupt nicht rum zu gehen. Ich wollte unbedingt an mein Ziel kommen. Die Fahrt war lediglich ein nerviges Hindernis, dass überwunden werden musste.
Später habe ich meine Einstellung geändert. Ich habe mir überlegt was ich auf der Fahrt so machen könnte und habe aufgehört immer wieder auf die Uhr zu sehen. Manchmal habe ich mich sogar dabei erwischt wie ich auf der Hälfte der Fahrt dachte „Oh wir sind ja schon bald da, ich wollte doch mein Buch noch fertig lesen.“ Durch die neue Einstellung wurde die Bahnreise angenehmer. Das Ziel war immer noch das Ziel, aber der Weg war kein Hindernis sondern ein Zwischenziel, das gut genutzt oder auch einfach mal genossen werden konnte.
Neben den Zugfahrten haben mich auch langanhaltende Fußschmerzen dazu gebracht den Weg als das Ziel zu erkennen. Wenn man auf einmal nur noch halb so schnell geht wie früher entdeckt man plötzlich die Schönheit der Natur völlig neu. So nehme ich z.B. Blumen am Wegesrand die mir früher überhaupt nicht aufgefallen sind plötzlich ganz bewusst und voller Freude war.
Der Weg ist das Ziel im Coaching-Kontext
Doch auch bei großen Herausforderungen ist der Satz „Der Weg ist das Ziel“ durchaus hilfreich. Denn eigentlich besagt er genau dass, was viele Coachs empfehlen: kleinschrittiges Denken.
Wenn ich beispielsweise die Heilpraktikerprüfung als Ziel vor mir sehe, ist dieses Ziel so weit weg, dass es unerreichbar wird und damit schwindet auch die Motivation.
Also ist es sinnvoll sich den Weg dorthin kleinschrittig einzuteilen und in ganz viele kleine Zwischenziele zu gliedern. So wird erst einmal aus dem Weg das Ziel.
Wenn ich aber weiß, dass für jetzt und für diesen Moment mein Weg mein Ziel ist, verwandelt sich das Gefühl des Versagens („Ich werde das Ziel nie erreichen!“) zu deinem Gefühl des Gewinns („Ich bin ja schon mitten drin es zu erreichen. Ich mache alles richtig!“) und das fühlt sich weit aus besser an.
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