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Ich habe das Gefühl nirgendwo gehen Erwartungen und Realität so weit auseinander wie hier im Kreißsaal. Was hatte ich nicht alles auf meiner Krankenhausliste für den Kreißsaal: Massageball, entspannende Musik, Snacks, weites Wohlfühl-Shirt. Ich war in meinem Leben nie weiter von einer Massage bei entspannender Musik und dem Verzehr von Müsliriegeln entfernt als jetzt. Ganz abgesehen davon, dass meine Tasche sowieso auf der Station steht, denn die hatte ich ja eigentlich nur mit dem Plan verlassen an Schmerzmittel zu kommen.

Die Hebamme am Rande de Verzweiflung

Irgendwann fällt der Hebamme dann noch eine mittelalterliche Geburtsposition ein. Vermutlich ist ihr schon vorher klar, dass es nicht gerade die schonenste Position für den Intimbereich der Mutter ist, um es mal vorsichtig auszudrücken. Die ganze Aktion ist ein wahninniger Kraftakt, den ich hier nicht näher beschreiben möchte. Nach einer weiteren viertel Stunde, ist die Hebamme die bei der Position ordentlich mithelfen muss total am Ende „Es geht in die richtige Richtung“, sagt sie irgendwann. Na immerhin. „Aber ich habe keine Kraft mehr.“

Sie überlegt kurz den Arzt zu rufen. „Der drückt ihnen dann allerdings so wahnsinnig auf dem Bauch herum, dagegen sind die Schmerzen jetzt nichts.“ Ich frage mich, wie der aktuelle Schmerz noch gesteigert werden könnte, es scheint mir unmöglich. Aber wenn die Hebamme es sagt, wird es so sein. Also hoffe ich, dass wir den Arzt nicht brauchen. Die Hebamme sammelt noch einmal ihre Kräfte und schließlich hilft auch mein Mann noch mit.

Irgendwann merke ich ein wahnsinniges Brennen im Intimbereich. Es brennt so sehr, dass ich denke ich sterbe. Aber gut immerhin mal eine ganz andere Art von Schmerz als die Wehen. „Gleich ist es geschafft!“, ruft die Hebamme freudig. „Es brennt so sehr“, schreie ich zurück. „Der Kopf muss raus, das Gewebe muss sich dehnen, machen sie langsam“, sagt die Hebamme. Aber ich bin so erfreut, dass endlich überhaupt etwas passiert und will gleichzeitig nur, dass dieses furchtbare Brennen aufhört, dass ich meine letzte Kraft nach über 24 Stunden Wehen zusammen nehme und presse was das Zeug hält. Keine Minute später ist Lena da!

Ich habe es geschafft!

Ich kann es nicht glauben. Die ganze Geburt über war ich so darauf konzentriert irgendwie durchzuhalten, dass ich gar nicht mehr an das Baby gedacht habe. Und jetzt ist da ein Kind? Es hätte genauso gut ein Stein sein können, den ich aus mir raus gepresst hätte, so sehr habe ich in den letzten 24 Stunden verdrängt wofür ich überhaupt gekämpft habe. Mein ganzer Fokus galt die letzten 24 Stunden darauf, selbst zu überleben und irgendwie durch diese Geburt durchzukommen, dass ich keine Sekunde an das Danach gedacht habe.

Die Hebamme legt mir mein Baby auf den Bauch. Auf einmal bleibt die Welt stehen. Ich bin in einer anderen Realität oder so. Ich weiß nicht mehr wer ich bin und wo ich bin und was hier los ist. Ich weiß nur, dass ich auf einmal keine Schmerzen mehr habe. Was ist das für ein wundervolles Gefühl, wenn der schlimmste Schmerz des Lebens auf einmal weg ist!

In einer anderen Welt

Mein Mann macht ein Bild von mir mit Baby und schneidet die Nabelschnur durch. Plötzlich merke ich das noch etwas aus mir raus kommt. Die Plazenta, das hatte ich ja völlig vergessen. Die Hebamme hebt stolz die Plazenta hoch und erklärt meinem Mann wie im Anatomieunterricht was wo ist. Ich muss an meine Heilpraktikerbücher denken. Die Plazenta scheint mir doppelt so groß wie mein Baby. Scheinbar ist die Hebamme stolzer auf die „Entbindung der Plazenta“ als auf die des Babys. Unsere Kleine wird gewogen und gemessen.

Ein Arzt kommt und setzt sich zwischen meine Beine. Was macht der denn hier? Als er Nadel, Faden und Wattebausche auf seinem Tablett sortiert wird es mir klar. Jetzt wird wohl genäht. Kurz frage ich mich ob man wohl vorher betäubt wird. Mit dem Thema Dammriss habe ich mich vor der Geburt bewusst nicht befasst. Na ja selbst wenn ich nicht betäubt werde, ist mir auch egal, schlimmer als die Geburt kann es nicht sein. Plötzlich fühle ich mich auf einmal so stark. Alle Schmerzen, die ich bisher in meinem Leben hatte verblassen gegen das, was die letzten Stunden abging, selbst die abgeschnittene Daumenkuppe vor ein paar Jahren scheint lachhaft. Wenn ich das geschafft habe, kann ich noch so viel mehr schaffen.

Geburtsbericht Teil 6

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