Lebensweisheiten aus dem Wartezimmer

Die Situation

Als ich gestern 3,5 Stunden im Wartezimmer beim Arzt saß, war ich schon ganz schön am Ende mit meinen Nerven. Natürlich habe ich mir dank meiner verschiedensten Coachingübungen die Situation reframet: „Ich warte nicht – Ich meditiere. Ich warte nicht – Ich finde innere Ruhe“, das hat mal besser und mal schlechter funktioniert.

Eigentlich wollte ich die Zeit mit dem Lesen eines Buches verbringen, doch irgendwie war ich dann bei sommerlicher Hitze, nüchternem Magen und Kopfschmerzen auch nicht mehr motiviert zu lesen.

Die Wende
Plötzlich kam eine Frau ins Wartezimmer. Während ich erst nach zwei Stunden Warten unruhig wurde, war sie schon nach 20 Minuten ungeduldig. Als ich ihr erzählte wie lange ich bereits wartete, sah sie mich entsetzt an. Schließlich meinte sie: „Naja dann müssen wir uns die Situation eben schön reden.“ Schön reden – ein etwas abwertender Ausdruck für Reframen, aber an sich hatte sie ja Recht.

Ich überlegte kurz was ich antworten sollte. „Ja es könnte zum Beispiel noch viel heißer sein, immerhin ist es heute bewölkt.“ „Ja“ antwortete die Frau grinsend „Oder man könnte ganz schlimme Schmerzen haben“. Auch da stimmte ich ihr zu. Meine Schmerzen waren zum Glück auch noch in einem verträglichen Rahmen. „Oder wir könnten keinen Sitzplatz haben und stehen müssen, das wäre auch schlimmer.“

Je länger wie uns alle möglichen Horrorszenarien ausmalten, desto positiver schätzten wir unsere Situation ein. Eine Übung die immer dann zur Hilfe gezogen werden kann, wenn man mit dem klassischen Reframen nicht weiter kommt. Als ich aus der Arztpraxis heraus kam machte ich also munter weiter. Ich stieg in mein Auto, in dem leider die Klimaanlage kaputt ist und überlegte: „Es könnte noch viel schlimmer sein, wenn ich z.B. nicht im insgesamt doch kühleren Parkhaus geparkt hätte, oder wenn ich jetzt noch eine mehrstündige Reise im Auto vor mir hätte.“

Die Verschlimmerungsfrage im Coaching

Im Coaching nennt man diese Frage die „Verschlimmerungsfrage“. So meinte meine Dozentin irgendwann einmal „Wenn ihr gar nicht mehr weiter wisst, dann fragt doch mal, was die Situation noch schlimmer machen würde.“ Im ersten Moment fragt man sich, was diese Frage soll. Schließlich ist die Lebensberatung normalerweise auf positive Dinge ausgerichtet. Doch im Prinzip ist auf diese Frage positiv, denn sie deckt vorhandene Ressourcen auf.

Ein einfaches Beispiel:

Eine Frau erzählt in der Beratungsstunde, wie sehr sie unter ihrer chronischen Erkrankung leidet. Irgendwann fragt der Coach: „Was würde Ihre Situation noch verschlimmern?“ Sie könnte antworten: „Naja wenn ich mit diesen Schmerzen auch noch auf die Arbeit müsste, das würde ich nicht aushalten.“

Dahinter steckt die Ressource der finanziellen Absicherung. Sei es durch eigene Rücklagen, den Staat oder den Ehemann. Nun könnte der Coach weiter fragen: „Wie fühlt es sich für sie an, wenn sie daran denken, dass sie nicht arbeiten müssen. Das sie Zeit haben sich um ihre Gesundheit zu kümmern?“ So wird die Gesamtsituation am Ende positiver betrachtet. Denn es ist wie immer: Nicht die Situation selbst ist schlimm, sondern wie wir sie bewerten.

Praxistipp:

Letztlich ist es also wirklich schlau, sich die Frage nach der Verschlimmerung von Zeit zu Zeit zu stellen. Du kannst gleich heute damit anfangen. Wenn du dich über irgendetwas ärgerst (was man, wie du hier lesen kannst, eigentlich sowieso nicht muss) kannst du dir genau die Frage stellen: Geht es noch schlimmer? Was würde die Situation noch schlimmer machen?

Übrigens: auch meine Oma kannte diese Technik schon. So sagte sie zu meiner Mutter, als diese sich in den Wehen befand, „Sei froh, dass du dein Kind nicht im Krieg gebären musst.“ 

Geht es noch schlimmer?

Ein Kommentar zu „Geht es noch schlimmer?

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