Wie mangelnde Möglichkeiten den Horizont erweitern
Es ist tatsächlich nur noch ein Tag ohne Smartphone und Internet zu „überstehen“. Wobei ich das „überstehen“ ganz bewusst in Anführungszeichen stelle. Ich weiß inzwischen nicht einmal mehr, ob ich mein Smartphone überhaupt wieder haben möchte.
Die letzten zwei Tage habe ich es überhaupt nicht mehr vermisst. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl mein Geist hat sich durch die Abwesenheit des Internets geweitet.
Während ich früher die Zeit in der Ferienwohnung vermutlich mit Internet surfen oder Netflix verbracht hätte, habe ich mir nun holländische Kochsendungen angesehen, holländische Zeitungen durchgelesen oder ein Buch gelesen.
Anfangs war der scheinbare Mangel an Beschäftigung eine Qual. Wenn ich nicht mehr zwischen 100 Dingen die ich ansehen, anhören oder tun könnte wählen kann, kann ich auch nicht mehr das Tollste machen.
Es hat mich genervt, beim Putzen Radio statt Podcasts zu hören, es hat mich gestört niederländisches Fernsehen statt Netflix zu sehen und es hat mich gestört nicht zwischen 100 verschiedenen YouTube Entspannungsvideos auszuwählen.
Es entstand ein Gefühl seine Lebenzeit vergeudet zu haben, da man sie hätte besser nutzen können.
Die positive Seite der geringeren Auswahl
Dass die mangelnde Auswahl auch gute Dinge mit sich bringt, hätte ich nicht gedacht. Doch die letzten Tage wurden mir einige Dinge klar:
1. Ich fühle mich auf einmal nicht mehr so als würde ich ständig etwas verpassen
Ich denke viele „Digital Natives“ kennen es: Man hat die Auswahl zwischen 100 verschiedenen Serien, unzählige verschiedenen Songs, Internetseiten und Filmen. Und das alles fast kostenlos.
Das führt schnell dazu, dass man seine Entscheidung nicht mehr richtig genießt. Man denkt ständig, dass man gerade etwas noch tolleres verpasst. Was bei der riesigen Auswahl nur logisch ist. Denn wenn mir 10.000 Filme zur Verfügung stehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich genau den ansehe, der mir von diesen am besten gefällt, viel geringer als bei einer Auswahl von vielleicht 3 Filmen.
Das ganze führt im Umkehrschluss dazu, dass man bei der Riesenauswahl die man hat, viel mehr Zeit damitverschwendet, genau das Passende zu finden. Den passenden Film, das passende Lied, die passende Serie, die passende Internetseite. Man weiß ja: irgendwo da draußen ist genau das, was man möchte, also zögert man nicht unendlich viel Energie in die Suche zu stecken.
Wobei am Ende die Frage bleibt:
Macht das perfekte Ergebnis die ganze investierte Energie wieder gut?
Und was ist wenn ich nach unendlicher Suche, am Ende etwas scheinbar Tolles finde, es konsumiere und dann enttäuscht bin?
2. Ich beschäftige mich auch mal mit Dingen, die mir nicht zu 100% zusagen
Die mangelnde Auswahl führt nun zu mehr Entspannung, da man nicht mehr das Perfekte sucht. Sie führt außerdem dazu, sich mit nicht perfekten Dingen zu befassen.
Während ich in der digitalen Welt, durch ausführliche Voranalyse und Recherche vielleicht schon nach 20-30 Minuten einen Film gefunden habe der mir mit einer Wahrscheinlichkeit zu 90% gefällt, ist es bei meiner analogen Auswahl schwieriger.
Ohne Voranalyse und bei einer kleinen Auswahl an Dingen, die ich tun kann muss ich mich auch mal mit 50-60% Zustimmung meiner seits zufrieden geben.
Da ich vorher aber auch keinerlei Informationen habe, kann ich gut und gerne positiv überrascht werden.
3. Ich gebe Dingen eine zweite Chance
Wenn mir im Internet etwas nicht gefällt, klicke ich weiter. In Sekunden ist vergessen was ich eben gesehen habe, da der neue Input entweder besser ist oder so lange weiter geklickt wird, bis man an einem besseren Produkt, Video oder was auch immer gelandet ist.
Dadurch entscheidet nur noch der erste Eindruck. Man versucht erst gar nicht mehr richtig in einen Film rein zukommen, wenn man ihn komisch findet. Dann sucht man halt den nächsten.
Und was ist, wenn ich dem Film, dem Song, der Entspannungs-CD, der Serie oder was auch immer einfach mal eine Chance gebe? Vielleicht werde ich ja doch noch warm mit dem Film oder der CD? Vielleicht erschließen sich mir manche Dinge einfach nicht direkt?
In den letzten Tagen habe ich Versucht den Dingen Zeit zu geben. Zeit, die ich ihnen aufgrund von Millionen von Alternativen im Internet früher nicht gegeben hätte.